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st die Schule vorbei, stehen viele junge Menschen in Deutschland vor großen Entscheidungen: Was nun? Welcher Beruf passt zu mir? Wozu habe ich Lust? Fragen, wie diese, sind ein Luxus. Die wenigsten Menschen auf dieser Welt haben die Möglichkeit, einen Beruf (nahezu) frei zu wählen und diesen zu fairen Konditionen auszuüben. Erst vor rund 85 Jahren gab es auch in Deutschland konkrete Berufsverbote für Juden. Zudem fielen sie aufgrund ihrer Religion Massenentlassungen zum Opfer. Doch wir müssen gar nicht so weit in die Vergangenheit gehen, um Verstöße gegen Artikel 23 der Menschenrechte zu finden. Hier liest du interessante Beispiele, die deine Sicht auf das Leben schärfen!

Die Paragrafen von Menschenrechtsartikel Nr. 23

1. Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf angemessene und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz gegen Arbeitslosigkeit.
2. Alle Menschen haben ohne jede unterschiedliche Behandlung das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
3. Jeder Mensch, der arbeitet, hat das Recht auf angemessene und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert und die, wenn nötig, durch andere soziale Schutzmaßnahmen zu ergänzen ist.
4. Jeder Mensch hat das Recht, zum Schutze seiner Interessen Berufsvereinigungen zu bilden und solchen beizutreten.

Was regelt Menschenrecht Nr. 23?

Die Menschenrechte 23 und auch 24 beziehen sich auf die Arbeitsgestaltung. Indirekt gehen sie auch auf Menschenrechtsartikel 4 ein, der die Sklaverei verbietet. Menschenrecht Nr. 23 regelt ganz konkret die unterschiedlichen Ansprüche in der Berufswelt. Ganz oben steht das Recht auf Arbeit. Das heißt allerdings nicht, dass eine Arbeitsstelle per se eingeklagt werden kann. Richter weisen keine Stellen zu oder schaffen neue. Mit dem Passus wird  vielmehr auf die Pflicht der Länder eingegangen, mithilfe der Politik die Arbeitslosigkeit bestmöglich zu verhindern.

Darüber hinaus steht der Staat in der Verantwortung, einen Lohn zu ermöglichen, der eine menschliche Existenz sichern kann. Das geschieht unter anderem durch Mindestlöhne. Des Weiteren ist der Staat dazu verpflichtet, zusätzliche Leistungen aufzustellen, damit ein Überleben garantiert ist: Beispiel Sozialhilfe. Beachtenswert hierbei ist, dass sowohl der Mindestlohn als auch die weiteren Leistungen entscheidend vom jeweiligen Land abhängen.

Die im Menschenrecht aufgeführte freie Berufswahl ist einklagbar. So darf niemand dazu gezwungen werden, eine Arbeit oder einen Beruf durchzuführen, den er ablehnt. Ansonsten bestände Zwangsarbeit. Zudem besteht der Anspruch, für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn zu bekommen. Das kann sogar eingeklagt werden. Gleiches zählt für die Bildung von Gewerkschaften und dem Recht, Teil von ihnen zu werden.

Menschenrecht Nr. 23: Lohnunterschiede zwischen Frau und Mann

In Deutschland besteht ein Recht auf Arbeit und gleichen Lohn, wie Abschnitt 1 und 2 des Menschenrechts 23 aufführen. Dennoch gibt es am Arbeitsmarkt eine deutliche Segregation der Geschlechter. In den Bereichen Erziehung, Dienstleistung, Pflege und Reinigung arbeiten vorwiegend Frauen; in technischen, verarbeitenden und handwerklichen Berufen zumeist Männer. Das Problem hierbei ist, dass die Frauen-dominierten Berufe häufig weniger Anerkennung erhalten und weniger Lohn bringen. Deutlich wird dies an der Statistik: Der Verdienstabstand von Frauen und Männern beträgt 20 %, was ein Spitzenwert für Nord- und Mitteleuropa ist.

Das liegt nicht nur in der Art der Tätigkeit, sondern auch in den Strukturen. So arbeiten Frauen häufiger in Teilzeit und unterbrechen ihren Job familienbedingt. Darüber hinaus bekleiden sie seltener Führungspositionen.

Für Frauen ist das Armutsrisiko größer als für Männer. Am schlimmsten ist die Lage für Alleinerziehende, da es Müttern mit kleinen Kindern oft schwer gemacht wird, eine existenzsichernde Beschäftigung zu halten.

Verstoß gegen die Berufsfreiheit in Covid-Zeiten

Die Berufsfreiheit wird durch Menschenrechtsartikel 23 klar geregelt. Doch die freie Berufswahl und die freie Berufsausübung litten und leiden in Corona Zeiten rund um den Globus. Aufgrund der Maßnahmen und Regulierungen der Politik kommt und kam es zur Schließung von nicht systemrelevanten Einzelhandelsbetrieben. Auch die Hotellerie, das Veranstaltungsgewerbe, die Gastronomie und der Kulturbereich waren und sind davon massiv betroffen. Unabhängig davon, ob der Einzelne die Schutzmaßnahmen als sinnvoll erachtet oder nicht: Es wurde und wird gegen Menschenrecht 23 verstoßen. Begründet wird dies mit dem Gemeinwohl.

Kannst du wirklich in Deutschland deinen Beruf frei wählen?

In Deutschland existiert die freie Berufswahl. Dank eines weitreichenden sozialen Systems und geringen Schul- bzw. Universitätsgebühren ist sie tatsächlich weitgehend gegeben. Doch wenn wir uns die Lage im Detail anschauen, dann fallen Missstände auf.

Generelle Einschränkungen: Bei der Berufswahl existieren generelle Einschränkungen. Gibt es an deinem Wohnort und der Umgebung keinen Job in deinem Traumbereich, kannst du ihn nicht ausüben – oder du ziehst um. Hier kannst du dich nicht aufs Menschenrecht berufen. Darüber hinaus gibt es staatliche Regulierungen. So dürfen sich in einer Region beispielsweise nur eine bestimmte Anzahl von Ärzten ansiedeln. Ist das Kontingent ausgeschöpft, ist keine weitere Praxiseröffnung möglich. Umgekehrt darf dich aber auch niemand dazu zwingen, als Arzt in einer bestimmten Region eine Praxis zu eröffnen.

Fachkräfte: Derzeit ist das Interesse an Ausbildungsberufen in Deutschland gering. Dahingegen platzen die Universitäten aus allen Nähten. Möchtest du nicht Fliesenleger, sondern Geologe werden, dann ist dies dein Recht. Ob du später einen Job in dem Bereich findest, steht auf einem anderen Blatt.

Job der Eltern: Die soziale Mobilität hat sich in Deutschland in den vergangenen drei Jahrzehnten kaum verändert. Haben die Eltern bereits einen hoch dotierten und/oder anspruchsvollen Job, ist die Wahrscheinlichkeit um ein Vielfaches höher, dass ihre Kinder ihnen nachziehen.

Stereotype: Direkte oder indirekt beeinflussen viele Deutsche die gesellschaftlich geprägten Stereotypen bezüglich der Berufswahl von Mann und Frau. Wie bereits erwähnt, finden sich in technischen Berufen deutlich weniger Frauen als Männer. Im Gesundheitsbereich ist es genau umgekehrt.

Leitende Positionen: Frauen bekleiden deutlich weniger leitende Stellen als Männer. Deutschland nimmt hier beim Europavergleich ein Schlusslicht ein. Deswegen gibt es für die Aufsichtsräte der 100 größten börsennotierten Unternehmen dank Frauenquote zwar 30 % Frauen, aber bei den Vorstandsposten sind es nur 8,5 %.

Herkunft: Studien zeigen, wie stark die Diskriminierung für Personen aus afrikanischen und muslimischen Ländern ist. Sie haben es in der Regel schwerer, einen Job zu finden als Deutsche oder Personen aus europäischen, ostasiatischen und nordamerikanischen Ländern.

Behinderung: Für Menschen mit Behinderung ist die Jobsuche schwer. Bei ihnen liegt in Deutschland die Arbeitslosenquote bei hohen 12 %. Zwar besteht eine gesetzliche Verpflichtung in Form einer 5 %-Quote (ab 20 Beschäftigten in einem Unternehmen), aber die lässt sich mit einer Ausgleichszahlung von bis zu 320 Euro pro Jahr umgehen.

Hartz IV: Das Gesetz kann niemanden zum Arbeiten zwingen. Hartz-IV-Empfänger müssen diverse Pflichten erfüllen, um ihr Geld zu erhalten. Sie müssen täglich wenigstens 3 Stunden arbeiten und dürfen beispielsweise zumutbare Jobangebote nicht ablehnen. Tun sie dies, kann es zu Kürzungen der Unterstützungszahlungen kommen. Ob dies gegen die Menschenrechte verstößt, wird vom Bundesverfassungsgericht geklärt.

Trotz Mängel unerlässlich: Menschenrecht Nr. 23

Ähnlich wie bei anderen Menschenrechten – beispielsweise Menschenrecht 11, 14 oder 19 – wird auch Menschenrecht Nr. 23 nicht zu 100 % erfüllt. Es lässt Interpretationsspielraum und ermöglicht, durch Ausnahmeregelungen wie dem Infektionsschutzgesetze einzelne Aspekte des Rechts auszusetzen. Dennoch ist das Menschenrecht Nr. 23 unerlässlich. Es schenkt dir ein gewisses Maß an Freiheit und erlaubt bessere Arbeitsbedingungen.

Wenn Du Dich einsetzen möchtest, gegen die moderne Sklaverei etwas zu tun, oder Institutionen und Gruppen unterstützen willst, die effektiv dagegen vorgehen, Aufklärung betreiben und bereits Kinder und Jugendliche zu dem Thema sensibilisieren, dann melde dich bei uns: Mach mit!

Weitere Informationen und Quellen zum obigen Thema:

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Photo by Arlington Research on Unsplash

Publiziert am
Dec 21, 2020
 in Kategorie:
Gleichheit

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