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or einigen Jahrhunderten fanden in Deutschland und anderen Ländern wie den USA spektakuläre Hexenprozesse statt. Frauen wurden auf dem Scheiterhaufen verbrannt, nur weil die Gesellschaft von Aberglauben und Angst getrieben vermutete, sie seien Hexen. Es gab keine handfesten Beweise und es galt vor allem nicht die Unschuldsvermutung. Wie du es vielleicht aus Kriminalfilmen kennst, heißt es heutzutage immer „unschuldig bis zum Beweis der Schuld“. Das ist sogar ein Menschenrecht. Leider wird dies heutzutage noch immer nicht zu 100 % beachtet – auch nicht in den Ländern, die verkünden, sich für die Menschenrechte einzusetzen.

Das Menschenrecht Nr. 11 in seinem Originaltext

1. «Jeder Mensch, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, ist so lange als unschuldig anzusehen, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem alle für seine Verteidigung nötigen Voraussetzungen gewährleistet waren, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.»
2. «Niemand kann wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zum Zeitpunkt, da sie erfolgte, aufgrund des nationalen oder internationalen Rechts nicht strafbar war. Desgleichen kann keine schwerere Strafe verhängt werden als die, welche zum Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung anwendbar war.»

Erklärung des Menschenrechts Artikel 11: Was bedeutet, es gilt die Unschuldsvermutung?

Menschenrecht Nr. 11 soll die Garantie für ein faires Verfahren geben. Es umfasst vier bedeutende Basisrechte:

So besagt die Unschuldsvermutung, dass niemand ohne Beweis die Schuld für ein kriminelles Vergehen tragen darf und dafür auch nicht beschuldigt werden darf. Er ist demnach so lange nicht schuldig, bis seine Schuld bewiesen wurde und ein rechtskräftiges Urteil von einem Richter vorliegt. Gleichzeitig beinhaltet der Artikel das Recht auf eine Verteidigung. Der Mensch darf daher einen Anwalt heranziehen, um seine Unschuld zu beweisen. Hier gibt es direkte Bezüge zu Artikel 10 der Menschenrechte. Darüber hinaus hat jeder Mensch das Recht auf ein öffentliches Verfahren. Geheimniskrämereien bei Gerichtsprozessen machen es der Staatsmacht und ihren Vertretern leichter, ihre Verantwortung zu missbrauchen.

Ein weiterer Punkt des Artikels 11 betrifft den Grundsatz „Keine Strafe ohne Gesetz“.

Das heißt, dass niemand für etwas eine Strafe erhalten kann, was beim Zeitpunkt der Tat nicht unter Strafe stand. Ein aktuelles Beispiel: Heutzutage kannst du ein Bußgeld erhalten, wenn du die vorgeschriebene Maskenpflicht nicht einhältst. Hast du vor 2020 keine Maske getragen, kannst du heute nicht nachträglich dafür bestraft werden. Der zweite Punkt des Menschenrechts 11 sagt darüber hinaus aus, dass eine Strafe zu wählen ist, die bei Tatzeitpunkt per Gesetz galt. Im Nachhinein darf es keine höhere Strafe geben, nur weil zum Zeitpunkt des Gerichtsverfahrens sich die Gesetzgebung geändert hat.

Somit handelt das Menschenrecht Nr. 11 in erster Linie von Schuld, Unschuld, Rechten (Artikel 6), Verurteilung und Strafen für Menschen für Gesetzesübertretungen.

In welchem Gesetz finde ich die Unschuldsvermutung?

Die Unschuldsvermutung findet sich nicht nur im Menschenrecht Nr. 11, sondern gehört auch zu den Basisprinzipien eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens. In vielen Ländern dieser Welt wird der Anspruch darauf – zumindest offiziell – anerkannt. Die Europäische Menschenrechtskonvention setzt die Unschuldsvermutung in Artikel 6 völkerrechtlich und mit Verbindlichkeit um.

Erst zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Verurteilung endet die Unschuldsvermutung. Hierfür sind jedoch ausreichend Beweise erforderlich, die der Staatsanwalt dem Gericht unterbreiten muss.

Schon seit Jahrhunderten existiert dieser Grundsatz unter der bekannten lateinischen Bezeichnung „in dubio pro reo“ bzw. „im Zweifel für den Angeklagten“. Er geht auf Friedrich Spee von Langenfeld im 17. Jahrhundert zurück, der diesen Satz in einer Schrift gegen die Hexenverfolgung erwähnte. Menschen nutzen ihn bis heute, um für Recht und Gerechtigkeit einzustehen.

Im deutschen Recht ist die Unschuldsvermutung im Grundgesetz nicht separat enthalten. Das ist nicht erforderlich, da sie sich aus dem Rechtsstaatsprinzip automatisch ergibt. Nachlesen lässt sich dies hier: (Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG).

Kann ich unschuldig schuldig werden?

Die Unschuldsvermutung sagt aus, dass jeder Verdächtige bzw. Beschuldigte während der kompletten Dauer eines Strafverfahrens als unschuldig gilt. Nicht er muss seine Unschuld beweisen. Diese Aufgabe muss die Strafverfolgungsbehörde übernehmen. Aufbauend auf diesem Grundsatz erfolgen Strafverfolgung und Ermittlungsverfahren nach besonderen Bestimmungen. Nur unter speziellen Voraussetzungen darf der Verdächtige Maßnahmen erleiden, die im Rahmen einer Ermittlung oder Prüfung einer Straftat dienlich sind. So darf es ohne Anfangsverdacht kein Strafverfahren geben. Nur bei einem dringenden Tatverdacht sind Untersuchungshaft und vorläufige Festnahme möglich.

Durch dieses Vorgehen soll bestmöglich vermieden werden, dass es zu Fehlurteilen oder einer Vorverurteilung kommt.

Selbstverständlich besteht dieses Risiko trotzdem. Wer eigentlich unschuldig ist, kann dennoch die Schuld für eine Straftat zugeschrieben bekommen. In der Regel stecken dahinter unglückliche Umstände. In einigen Fällen begründen sich die Fehlurteile in Willkür und Schlampigkeit der Gerichte bzw. in der erfolgreichen Manipulation der Strafverfolgungsbehörden.

Zudem kannst du auf gesellschaftlicher Ebene schuldig gesprochen werden, obgleich du per Gesetz unschuldig bist. So passiert es bei Straf- und Ermittlungsverfahren häufig, dass Informationen an Dritte weitergegeben werden. Vielleicht sickert etwas bei der Presse durch oder Zeugen werden befragt, die von ihrer Befragung anderen berichten.

Öffentliche Fahndungen mithilfe der Medien haben trotz der Unschuldsvermutung Konsequenzen für den Verdächtigen.

Rufschädigungen sind die Folge, die das Leben der Person entscheidend beeinträchtigen. Solche Menschen sind per Gesetz zwar unschuldig, aber die Gesellschaft spricht sie schuldig.

Wer entscheidet über Schuld und Unschuld?

Grundsätzlich ist dies in Deutschland die Aufgabe der Richter. Allein ihnen – und in Einzelfällen in Zusammenarbeit mit Schöffen – obliegt diese Aufgabe.

Die Polizei darf lediglich im Verdachtsmoment eine Person in Gewahrsam nehmen, aber sie entscheidet nicht über Schuld und Unschuld. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass sich in Deutschland in den letzten Jahren die Polizeigesetze der Bundesländer stark geändert haben. Die Polizei erhielt mehr Macht, um die Strafverfolgung und damit die Findung von Schuldigen zu vereinfachen. Im Prinzip ist dies nichts Schlechtes, sofern die neuen Polizeigesetze mit Sorgfalt umgesetzt werden würden. Leider bieten sie jedoch ein immenses Risiko des Missbrauchs, indem sie die Unschuldsvermutung stark einschränken.

Die Polizei durfte bis zur Gesetzesänderung in Deutschland nur dann eingreifen, wenn eine konkrete Gefahrensituation bestand. Jetzt darf die Polizei schon bei einer bloßen Vermutung eingreifen. Menschenrechtler argumentieren, damit würden die Beamten zur Wahrsagerei ermutigt werden. So darf die Polizei jetzt nur aufgrund von vagen Anhaltspunkten sagen: „Wir gehen davon aus, dass dieser Mensch in absehbarer Zukunft straffällig wird.“ Somit wird aus der einstigen konkreten Gefahr eine Wahrscheinlichkeitsvermutung für eine Straftat, die in einer „unkonkreten, möglichen Zukunft“ stattfinden soll. Welche Zeitdimension gemeint ist, ist unklar.

Ein großes Problem ist, dass solche vagen Anhaltspunkte sich mit allem und nichts füllen lassen.

Tiefgreifende Maßnahmen wie Quellen-Telekommunikationsüberwachung, elektronische Fußfesseln und Aufenthaltsverbote können die Folgen sein. Wo führt dies letztlich hin? Was ist mit der Unschuldsvermutung?

Sind künftig schon die Teilnahme an einer bestimmten Versammlung oder Meinungsäußerung im Internet ausreichend, um polizeilich als „schuldig“ erachtet zu werden?

Auf der anderen Seite mag in Einzelfällen ein schneller Eingriff der Polizei hilfreich sein. Doch werden die neuen Polizeigesetze auch für häusliche Gewalt oder Stalkingopfer genutzt, die ansonsten erst nach einem immensen körperlichen und seelischen Schaden Hilfe erhalten? Die Zukunft wird es zeigen. 

Wenn Du Dich einsetzen möchtest, gegen die Einschränkungen unserer Menschenrechte etwas zu tun, oder Institutionen und Gruppen unterstützen willst, die effektiv dagegen vorgehen, Aufklärung betreiben und bereits Kinder und Jugendliche zu dem Thema sensibilisieren, dann melde dich bei uns: Mach mit!

Weitere Informationen und Quellen zum obigen Thema:

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Photo by Keiteu Ko on Unsplash

Publiziert am
Jul 14, 2021
 in Kategorie:
Rechte

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